FÜR NEUGIERIGE

Leseprobe


Dann erschienen die ersten Passagiere.

Unschalk befand sich unter ihnen. Eine Strähne seines sonst straff nach hinten gekämmten grauen Haares stand seitlich ab, auf seinen Wangen lagen dunkle Schatten vom nachgewachsenen Bart. Er wirkte müde und ging weniger aufrecht als sonst, fast schleppend, in der rechten Hand seinen alten Aktenkoffer tragend. All dies registrierte Olivia im Bruchteil eines Augenblicks. Sie empfand Erleichterung und Freude, ihn zu sehen, und sie dachte: Er kommt doch gerne nach Hause; auf seinen Reisen benutzt er immer wieder freie Momente, um zu telefonieren.

Unschalk erblickte sie erst, als sie sich ihm in den Weg stellte. Olivia strahlte ihn an, eine Um­armung mochte sie ihm inmitten der Leute nicht zumuten.

«Hallo, schön, dass du wieder da bist.»

Olivia neigte sich ihm entgegen und schaffte es, ihm einen knappen Willkommenskuss zu entlocken. «Wie war die Reise?»

Er zögerte. «Die Reise?» Es fiel ihm nichts ein. «Nicht besonders - wie immer», sagte er schließlich. Nach einer kleinen Pause wiederholte er: «Die Reise war wie immer.»

Sie stutzte kurz wegen der Unverbindlichkeit seiner Antwort, schrieb sie dann aber seiner Müdigkeit zu. Sein Blick wirkte matt und unstet, glitt an ihr vorbei ins Leere. Dann sah sie, was nicht stimmte.

«Wo hast du dein Gepäck?»

«Welches Gepäck?»

«Deines», sagte sie leise, ein wenig verängstigt. «Deinen hellbraunen Koffer. War er nicht bei der Gepäckausgabe?»

«Ich war nicht bei der Gepäckausgabe», erwiderte Un schalk. «Ich habe keinen Koffer.»

«Oh, du meinst, du hast ihn nicht aufgegeben in New York. Wird er nachgeschickt?» Sie standen jetzt allein vor dem Ausgang der Zollkontrolle. Ein Flughafenarbeiter sammelte leere Gepäcktrolleys ein. Die weite Ankunftshalle wirkte sehr leer und abweisend.

Unschalk schüttelte verständnislos den Kopf. «Was heißt New York? Was heißt aufgegeben? Ich habe keinen Koffer, und ich brauche keinen Koffer. Lass mich damit in Ruhe.»