Auf den Zigarettenpackungen steht zu lesen: Rauchen beeinträchtigt Ihre Gesundheit – das ist die sanfte Variante. Dann aber: Rauchen kann zu Impotenz führen. Oder: Rauchen schadet der Schwangerschaft und dem Fötus. Auch Schreiben ist eine Krankheit, und zwar vom Ausmass einer Pandemie. Anders ist es nicht zu erklären, dass im deutschen Sprachraum alljährlich rund 90'000 neue Publikationen erscheinen, davon 9'000 im Bereich der Belletristik. Wer da glaubt, dieser Flut sein Werk oder sein Werklein auch noch beifügen zu müssen, ist vermutlich krank. Offen ist nur, ob die Krankheit unheilbar ist. Ich bekenne, der Bazillus hat mich auch erfasst. Ein Impfstoff dagegen ist weit und breit nicht in Sicht. Noch als Gymnasiast verfasste ich erste Gedichte, teils allein, teils zusammen mit meinem Schulfreund René Sidler. Sie sollten mehrdeutig, bedeutungsschwer und von Weltschmerz durchtränkt sein. Ein anderer Schulkollege, Walter Boris Fischer, später Theaterwissenschaftler, trug in einer Deutschstunde eines dieser Gemeinschaftswerke vor. Der Lehrer, immer offen für Neues, hörte aufmerksam zu, nickte versonnen vor sich hin und befand:«Interessant. Muss ein später Nietzsche sein. Habe ich noch nie gelesen.» Später verfassten wir, auch gemeinsam, eine Weihnachtsgeschichte. Sie handelte vom Kriegsende, von allgemeiner Not, einem Heimkehrer und ein wenig Liebe. Der Stil war den damaligen Größen Erich Maria Remarque und James Jones nachempfunden. Die Geschichte hat unsere Schubladen nie verlassen. Im letzten Schuljahr entstand die Science Fiction-Kurzgeschichte «Die Weltraumkapseln». Sie trug mir in einem Kurzgeschichtenwettbewerb des Pabel-Verlags den ersten Preis ein. Dass der Verlag kurz danach in Konkurs geriet, ist wohl einer Laune von Pallas Athene, der für die Künste zuständigen griechischen Göttin, zuzuschreiben! Die im Magazin →«Fiction» publizierte französische Version ist nicht mehr erhältlich, die deutsche Fassung nur noch hier. Für einen anderen Verlag übersetzte ich später zwei Science Fiction-Romane bekannter amerikanischer Autoren; beide Werke sind nicht mehr aufzufinden. Mehr als einmal habe ich mir die selbstkritische Frage gestellt: Warum schreibt man? Oder genauer: Warum meint man schreiben zu müssen? (Diese Fragestellung gilt natürlich sinngemäss auch für Architekten, die Häuser entwerfen, für Maler, oder für Forscher, die das nächste Genom zu entschlüsseln versuchen.) Die möglichen Antworten: • um etwas loszuwerden • um etwas mitzuteilen • um berühmt zu werden • um etwas Nützliches zu leisten • um ein Problem zu lösen • um der Wissenschaft einen Dienst zu leisten • und ... und ... und ... Bei meiner Tätigkeit als Journalist fühlte ich mich als Zwanzigjähriger zum ersten Mal wichtig und ernst genommen. Das Hochgefühl, am Vorstandstisch oder gar an einem eigenen Tisch für «die Presse» zu sitzen, übertraf während Jahren jeden anderen Höhepunkt im Leben des jungen Bummelstudenten. Die sehr bedeutenden Anlässe, an die mich der Lokalredaktor Fritz Matzinger delegierte, waren beispielsweise: die Jahresversammlung des Erlen-Vereins, das Jubiläumsfest eines Turnvereins, die Promotionsfeier des Kaufmännischen Vereins, ein Motorrad-Trial, ein Pfeilbogenschiessen, ein Vortrag über → alte Sprachen, das Volksfest zur 450-Jahrfeier der Universität Basel. Kleine Perlen im Ozean der Lokalveranstaltungen in Basel waren Theateraufführungen von Amateur- oder Studententheatergruppen. Da durfte ich nicht nur berichten, sondern kommentieren und kritisieren! Das Honorar für diese literarischen Frühwerke betrug 25 Rappen pro Zeile, und die Anzahl Zeilen wurde für jeden Anlass vorgeschrieben. Später, im Berufsleben, verbrauchte ich bloss Unmengen an Papier. In der →Anwaltskanzlei wurden mit viel Korrespondenz Gegenparteien eingeschüchtert und die eigenen Mandanten beruhigt oder in der Richtigkeit ihres Standpunktes bestärkt, Gerichte mit kurzen oder langen Eingaben beliefert, Verträge entworfen und Gutachten erstattet. Daneben publizierte ich eine Dissertation und einige juristische Fachaufsätze. All dies hat mit richtigem Schreiben ebenso viel gemeinsam wie Tramfahren mit einer Ferienreise. Den Bazillus (siehe oben) hat es nicht vertrieben. Während langer Jahre im Tiefschlaf, ist er heute wieder pudelmunter, und ich bin neugieriog, wohin er mich noch treiben wird. |
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